Schleudertrauma - Was steht mir zu?
Eine häufig auftretende Verletzung, insbesondere bei Auffahrunfällen, ist das sogenannte Schleudertrauma. Doch was genau ist ein Schleudertrauma? Welche Forderungen kann ich stellen, wenn ich ein Schleudertrauma erlitten habe?
Hier ist umsichtiges Vorgehen gefragt, denn regulierungspflichtige Haftpflichtversicherungen versuchen mit allen Mitteln, Ansprüche von Geschädigten „kleinzurechnen“ oder gar ganz abzulehnen. Dieses Vorgehen ist in den meisten Fällen nicht gerechtfertigt.
Lassen Sie sich also keine Ersatzansprüche entgehen. Alles, was Sie zum Thema Schleudertrauma wissen müssen, finden Sie im nachstehenden Artikel.
Das Wichtigste
- Bei einem Schleudertrauma wird der Kopf eines Verkehrsteilnehmers in einer peitschenartigen Bewegung zunächst schnell nach vorn und dann abrupt nach hinten geschleudert.
- Hierbei werden Bänder und Bandscheiben im Hals- und Nackenbereich stark überdehnt.
- Häufige Symptome sind Schmerzen im Hals- und Nackenbereich, schmerzhafte Bewegungseinschränkungen des Kopfes und Schwindel.
- Diese können erst einige Zeit nach dem Unfallereignis auftreten. Der Verletzte steigt aus seinem Auto und hat keinerlei Schmerzen; nach einem Zeitraum von einer bis zu 48 Stunden zeigen sich dann aber die oben genannten Symptome
- Haftpflichtversicherer versuchen häufig, Schmerzensgeldansprüche des Geschädigten abzulehnen oder nur sehr geringe Schmerzensgelder zu zahlen, weil der Unfall angeblich unterhalb einer Harmlosigkeitsgrenze gelegen habe. Dies ist in einer Vielzahl von Fällen nicht berechtigt.
- Haben Sie ein Schleudertrauma erlitten, können Sie Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangen.
- Besondere Vorsicht ist bei Abfindungsvergleichen geboten, in denen Ihre Ansprüche pauschal abgegolten werden sollen.
Was ist ein Schleudertrauma
Bei einem Verkehrsunfall findet oftmals eine plötzliche und unerwartete Beschleunigung des Kopfes statt. Insbesondere bei Auffahrunfällen ist dies zu beobachten. Der Kopf wird zunächst mit hoher Geschwindigkeit nach vorn geschleudert. Danach schnellt er abrupt wieder zurück. Hierdurch wirken enorme Kräfte auf den Hals- und Nackenbereich der verletzten Person auf. Es kommt zu einer starken Überdehnung von Bändern und Bandscheiben.
Dieser typische Bewegungsablauf, bei dem der Kopf zunächst nach vorn und sodann nach hinten geschleudert wird, hat zu der Bezeichnung Schleudertrauma geführt. Bisweilen finden sich auch Bezeichnungen wie „HWS-Distorsion“ oder „HWS-Zerrung“. Hierbei steht „HWS“ für Halswirbelsäule.
Klassifikation
Nach der Klassifikation der sogenannten „Quebec Task Force“ werden fünf verschiedene Grade von Halswirbelsäulenverletzungen wegen eines Schleudertraumas unterschieden.
Schweregrad | Symptome |
0 | keine Beschwerden |
1 | Nur HWS-Beschwerden in Form von Schmerzen, Steifigkeitsgefühl im Hals- und Nackenbereich oder Überempfindlichkeit, aber keine objektivierbaren Ausfälle |
2 | HWS-Beschwerden wie unter 1 zusätzlich Bewegungseinschränkungen, Druckschmerzempfindlichkeit, Blockaden. |
3 | HWS-Beschwerden wie unter 2 und weitere objektive neurologische Befunde, zum Beispiel Verminderung der Nervenleitgeschwindigkeit, Taubheitsgefühle in Armen und Händen |
4 | HWS-Beschwerden wie unter 3 und Frakturen, Dislokationen (Verschiebungen), Rückenmarkschädigungen |
Bei allen Graden können auftreten:
- Hörstörungen,
- Tinnitus,
- Schwindel,
- Kopfschmerz,
- Schmerzen im Kiefergelenk
- schmerzhafte Schluckstörungen,
- Gedächtnisbeeinträchtigungen,
Verletzungen nach Grad 4 sind äußerst schwerwiegend und führen in der Regel zu Querschnittslähmungen oder gar zum Tod.
Bei den Graden 1 und 2 sind die Verletzungen nicht mit bildgebenden medizinischen Geräten (Röntgen oder ähnliches) nachweisbar. Es kann daher schwierig werden, in diesen Fällen den objektiven Nachweis einer Verletzung zu führen.
Außerdem treten die Beschwerden oft erst viele Stunden nach dem Unfallereignis auf. Denn die erheblichen Schmerzen eines Schleudertraumas werden von einer Verhärtung der Muskulatur im Hals- und Nackenbereich verursacht; diese tritt aber naturgemäß nicht sofort mit dem Unfallereignis auf.
Die Beschwerden können daher erst nach einer bis zu 48 Stunden nach dem Unfall auftreten.
Expertentipp:
Gehen Sie also nach einem Unfall auch dann zu einem Arzt, wenn die Beschwerden erst zwei Tage nach dem Unfall auftreten. Dies ist eine normale Entwicklung der unfallbedingten Beschwerden eines Schleudertraumas und führt in keinem Falle dazu, dass Sie keine Ansprüche mehr hieraus herleiten könnten.
Es ist außerdem sinnvoll, bei Beschwerden nach einem Unfall ein Schmerztagebuch zu führen, um gegenüber seinem behandelnden Arzt und der gegnerischen Versicherung das Vorliegen der Verletzung nachweisen zu können.
Harmlosigkeitsgrenze
Ansprüche wegen eines Schleudertraumas können bei ganz unerheblichen Bagatell-Verletzungen nicht gestellt werden. Ein Schleudertrauma, das Beschwerden unterhalb dieser Harmlosigkeitsgrenze auslöst, führt also zur Leistungsfreiheit der gegnerischen Versicherung.
Es dürfte sich von selbst verstehen, dass Versicherungsgesellschaften aus diesem Grunde häufig den Einwand der Harmlosigkeit erheben.
Zur Begründung wird oft eingewandt, dass die Aufprall- bzw. Differenzgeschwindigkeit der unfallbeteiligten Fahrzeuge zu gering gewesen sei. Bei Geschwindigkeiten unter 10 km/h, wie sie bei „klassischen“ Auffahrunfällen an Ampeln auftreten, wird daher häufig von der Versicherung bestritten, dass die Beschwerden von dem Unfallereignis verursacht worden sind. Im Ergebnis wird also weniger das Vorliegen der Verletzung an sich, sondern die kausale Verursachung durch den Unfall pauschal bestritten.
Der Bundesgerichtshof hat aber dieser Argumentation eine Absage erteilt:
Allein der Umstand, dass sich ein Unfall mit einer geringen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung ("Harmlosigkeitsgrenze") ereignet hat, schließt die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO von seiner Ursächlichkeit für eine HWS-Verletzung nicht aus
Es seien vielmehr stets die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
Denn die Frage der kausalen Verursachung einer Verletzung durch ein Unfallereignis hänge nicht allein von der Differenzgeschwindigkeit der Fahrzeuge ab, sondern auch von anderen Faktoren, wie Körpergröße und Sitzposition des betreffenden Fahrzeuginsassen.
Lassen Sie sich also nicht ins Bockshorn jagen: Pauschales Bestreiten der Kausalität zwischen Unfallereignis und Schleudertrauma retten die gegnerische Versicherung nicht. Auch bei Unfällen, bei denen angeblich ein Schleudertrauma nicht ausgelöst werden kann, sind Schadensersatz-Ansprüche keinesfalls unrettbar verloren.
Expertentipp:
Begeben Sie sich im Zweifelsfall in rechtskundige Beratung. Ein Experte kann den Einwänden der Versicherungen routiniert entgegentreten und Ihnen somit eine angemessene Entschädigung für die erlittene Verletzung sichern.
Was kann ich bei einem Schleudertrauma verlangen?
Welche Ansprüche stehen Ihnen nun zu, wenn Sie ein Schleudertrauma erlitten haben?
Schadensersatz
Zunächst können Sie Ersatz Ihres materiellen Schadens verlangen. Hierher gehören insbesondere Heilbehandlungskosten; diese werden direkt von Ihrer Krankenkasse geltend gemacht. Aber auch von Ihnen zu tragende Kosten der Heilbehandlung, wie Medikamentenzuzahlung, Verbandsmaterial oder ähnliches können Sie ersetzt verlangen.
Einzelheiten zum Schadensersatz finden Sie in unserem Artikel Schadensersatz nach einem Unfall
Schmerzensgeld
Neben Ersatz des entstandenen materiellen Schadens können Sie aber auch den immateriellen Schaden ersetzt verlangen. Für die erlittenen Schmerzen können Sie einen angemessenen Ausgleich, das sogenannte Schmerzensgeld verlangen.
Die Höhe der festgesetzten Schmerzensgelder richtet sich natürlich nach der Schwere der Verletzung, der Art und Dauer der ärztlichen Heilbehandlung und anderer Beeinträchtigungen Ihrer Lebensführung.
Einzelheiten finden Sie in unserem Artikel zum Schmerzensgeld.
Praxisbeispiel:
Bei einem leichten Schleudertrauma werden Schmerzensgelder in Höhe von etwa 250,00 Euro für angemessen erachtet.
In schwereren Fällen können bis zu 6.000,00 Euro verlangt werden.
Schwerste Schleudertraumata mit Querschnittslähmungen können Schmerzensgeldansprüche bis zum 500.000,00 Euro auslösen.
Expertentipp:
Die Bestimmung der genauen Höhe des geschuldeten Schmerzensgeldes erfordert einige Erfahrung und ist daher bestens in den Händen einer rechtskundigen Stelle aufgehoben.
Abfindungsvergleich
Es ist besondere Vorsicht geboten, wenn Sie nicht gesetzlich, sondern in einer privaten Krankenkasse versichert sind.
Im Falle eines Schadensersatz-Anspruches gegen einen Schädiger gehen Ihre Forderungen gegen diesen von Gesetzes wegen auf Ihre Versicherung über (§ 116 SGB X). Über diese Forderungen können und dürfen Sie daher nicht verfügen.
Immer wieder versuchen aber Haftpflicht-Versicherungen mit Geschädigten einen aussergerichtlichen Abfindungsvergleich zu schließen. In diesem Falle würde die Versicherung zu Abgeltung aller Ansprüche eine Einmalzahlung leisten.
Gehen Sie auf ein solches Angebot ein, kann Ihre private Krankenversicherung eigene Ansprüche gegen den Schädiger nicht mehr durchsetzen. In diesem Falle ist die private Krankenversicherung ganz oder teilweise von Ihrer Leistungspflicht Ihnen gegenüber befreit. Sie würden daher die Kosten der Heilbehandlung ganz oder teilweise selbst tragen müssen.
Expertentipp:
Gehen Sie niemals auf ein Abfindungsangebot einer Haftpflichtversicherung ein, ohne vorher Rechtsrat eingeholt zu haben. Verletzen Sie eine Obliegenheitsverletzung gegen eine eigene Versicherung, insbesondere eine private Krankenversicherung, drohen Ihnen erhebliche Nachteile. Setzen Sie sich also immer vor Abschluß eines Vergleiches mit Ihrer eigenen Versicherung in Verbindung.
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